Die Europawahl hat keinen Wandel gebracht, obwohl sich die Welt gerade radikal verändert. Die neue EU-Kommission macht weiter, als wenn nichts geschehen wäre – dabei steht EUropa mit dem Rücken zur Wand. Und das nicht nur wegen Trump. – Ein kritischer Ausblick auf die neue Legislaturperiode.
E-Book auf der Basis einer Artikelserie, die in meinem Watchblog „Lost in EUrope“ erschienen ist. Hier das Vorwort:
In diesem Buch soll es um die neue Europäische Kommission und ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre gehen. Auf den ersten Blick kein besonders prickelndes Thema – wer interessiert sich schon für die ferne und oft weltfremde Brüsseler Behörde?
Doch in den letzten Jahren ist die EU-Kommission in den Mittelpunkt der Europapolitik gerückt. Dies liegt nicht nur an ihrer Politisierung – Behördenchefin Ursula von der Leyen spricht von einer „geopolitischen Kommission“, die weltweit mitreden will.
Es liegt auch an der massiven Ausweitung ihrer Macht. Die Coronakrise 2020 und den Krieg um die Ukraine ab 2022 hat von der Leyen geschickt genutzt, um sich neue Ressourcen und Kompetenzen anzueignen, die in den EU-Verträgen nicht vorgesehen waren.
Das reicht vom 800 Milliarden Euro schweren (parlamentarisch nicht kontrollierten) Corona-Aufbaufonds über die (eigentlich national gesteuerte) Gesundheits- und Verteidigungspolitik bis hin zur Regulierung des Internets durch die neuen EU-Gesetze DSA und DMA.
Mit diesem Aufgabenzuwachs reagiert die EU – so jedenfalls die offizielle Lesart – auf Krisen und Kriege, die Europa und die Welt erschüttern. Von der Leyen habe die Probleme gut gemanagt, heißt es in Berlin. Deshalb wurde die CDU-Politikerin sogar vom SPD-Kanzler Olaf Scholz im Amt bestätigt.
Doch das Krisenmanagement hat die EU von Grund auf verwandelt. Die ehemalige „Friedensunion“ wurde neu programmiert. Nicht mehr Frieden, Wohlstand und Stabilität stehen heute im Zentrum – sondern Kriegstüchtigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz.
Dieser bedenkliche Paradigmenwechsel kam schleichend. Er braucht Zeit – man denke nur an das Hochfahren der Waffenproduktion – und führt zu Friktionen. Doch die Welt wartet nicht auf Europa. Die EU ist in den letzten Jahren in vielen wichtigen Bereichen zurückgefallen:
- Klimapolitik: Mit diesem Thema ist von der Leyen 2019 in Brüssel gestartet. Ihr „European Green Deal“ sollte der EU neue Märkte erschließen und die Führung bei „Clean Tech“ sichern. Fünf Jahre später ist Europa bei den Schlüsseltechnologien gegenüber China und den USA zurückgefallen. Auch die Klimaziele für 2030 sind in weite Ferne gerückt. Und bei der Anpassung an die Klimakrise tut sich in Brüssel fast nichts…
- Wirtschaftspolitik: Die Wirtschaft ist DAS große Thema der neuen Legislaturperiode. Von der Leyen verspricht nicht nur, den „Green Deal“ zu einem industrienahen „Clean Industrial Deal“ umzubauen. Sie will auch alles tun, um die sog. Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Nach einem Bericht des früheren EZB-Chefs Mario Draghi Geld fehlen dafür allerdings ca. 800 Milliarden Euro pro Jahr. Woher das Geld kommen soll, ist unklar.
- Krieg um die Ukraine: Nachdem von der Leyen und die EU ihre ganze Energie auf die Aufrüstung der Ukraine und den militärischen „Sieg“ gegen Russland gesteckt haben, droht nun der Offenbarungseid. Die Europäer sind weder auf die drohende Niederlage noch auf mögliche Verhandlungen unter US-Präsident Donald Trump vorbereitet. Mit dem geplanten EU-Beitritt der Ukraine plant man zudem eine „Mission impossible“.
- Migration: Die seit 2015 ungelöste Flüchtlingskrise und die ungesteuerte Zuwanderung treiben den Rechten und EU-Gegnern immer mehr Wähler zu, das Vertrauen schwindet. Von der Leyen hat zwar einen Migrationspakt auf den Weg gebracht, doch der wirkt erst ab 2026, wenn überhaupt. Wie ernst die Lage ist, zeigt die Erosion der Reisefreiheit (Schengen) und die Debatte über Abschiebezentren in Drittstaaten nach italienischem Muster.
- Demokratie: Bei der Europawahl haben die etablierten Parteien nochmals eine knappe Mehrheit errungen. Doch der Rechtsruck ist unübersehbar – und „die Mitte hält“ nur mithilfe einer ganz großen Koalition, die von linken deutschen Grünen bis zu rechten Postfaschisten aus Italien reicht. In vielen EU-Ländern reicht nicht einmal mehr das. Die politische Instabilität wächst; mittlerweile hat sie auch Deutschland und Frankreich erfasst.
Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass die neue EU-Kommission bei ihrer Wahl im Europaparlament Ende 2024 das schlechteste Ergebnis aller Zeiten erhalten hat. Sie gleicht einer Notstandsregierung. Noch nie war die EU so schwach aufgestellt wie nach der Europawahl 2024, noch nie waren die Probleme so groß wie heute.
Die Zeit läuft nicht mehr für, sondern gegen EUropa – willkommen zur Kommission der letzten Chance.
Hinweis: Das E-Book können Sie hier kaufen (Link zum Blog)