Was Martin Schulz in Europa geschafft hat - und was nicht
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gilt als leidenschaftlicher Europäer. Doch was hat er in seiner Zeit in Brüssel wirklich erreicht? Ist er der MEGA-Politiker, als den er sich selbst gern präsentiert? - Brüssel-Insider Eric Bonse hat Schulz' EU-Karriere kritisch unter die Lupe genommen. Aus den Erfolgen - und Misserfolgen - lässt sich auch viel über den Kanzlerkandidaten lernen.
Als dieses Buch im Juli 2017 erschien - mitten im Bundestagswahlkampf -, war Martin Schulz noch ein Hoffnungsträger. Der anfängliche Hype um den angeblich unbekannten und „völlig neuen“ Mann aus Brüssel war zwar schon verfolgen. Der Kanzlerkandidat der SPD stand nicht mehr für eine ganz andere, wahrhaft sozialdemokratische und entschieden proeuropäische Politik. Der MEGA-Spruch Make Europe Great Again war von seinen Beratern längst ad acta gelegt worden. Doch immerhin gab es noch die Möglichkeit, dass Schulz Europa zum Thema machen und aus seinen Erfahrungen in Brüssel lernen könnte. Er hatte noch eine Chance.
Lies mehrDiese Chance hat Schulz, wie wir heute wissen, nicht genutzt. Ganz im Gegenteil. Er hat sein politisches Kapital aus Brüssel über Bord geworfen und versucht, sich völlig neu zu erfinden, ohne Erfolg. Er hat die Europapolitik ausgeblendet und ist von einem Thema zum anderen gesprungen, auch das ohne Erfolg. Nach verlorener Wahl hat er einen Zickzackkurs gefahren und am Ende alles verloren. Schulz sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, heißt es nun. Wer aus dem geheizten Raumschiff Brüssel in das eiskalte „Haifischbecken“ Berlin komme, müsse eben untergehen.
Mich überzeugt diese These nicht. Denn sie kommt von denselben, die Schulz Anfang 2017 hochgejubelt haben. Außerdem war der Kandidat kein Neuling im Berliner Betrieb. Er war jahrelang Europabeauftragter der SPD und kam jede Woche zu Vorstandssitzungen in Berlin. Er war ein gern gesehener Talkshowgast und kannte die Medien und ihre Methoden. Er kannte auch die Kanzlerin, ihre Stärken und Schwächen, aus seinem Job als EU-Präsident.
Nein, Schulz’ Scheitern lässt sich nicht aus dem Wechsel von Brüssel nach Berlin erklären, auch nicht aus den angeblich so unterschiedlichen Welten in Europa und Deutschland. Frappierend ist eher die Kontinuität.
Wer Schulz länger kennt, weiß, dass er schon immer zu unüberlegten emotionalen Entscheidungen und plötzlichen Kehrtwenden neigte. Sein Scheitern in Berlin erinnert den EU-Insider an seinen Abschied aus Brüssel. Erst wollte Schulz Chef der EU-Kommission werden, dann (nach der Wahlniederlage 2014) nur noch „einfacher“ EU-Kommissar, am Ende mußte er sich mit einer Rückkehr ins Amt des Parlamentspräsidenten begnügen. Erst wollte er eine ganz andere Europapolitik, am Ende war er Chef einer Brüsseler GroKo. Erst standen alle Genossen hinter ihm, am Ende waren sie auch im Europaparlament froh über seien Rückzug. Ein déjà vu.
Schulz war MEGA enttäuschend - nicht erst in Berlin, sondern schon in Brüssel. Vermutlich liegt das in beiden Fällen daran, dass er zu hohe Erwartungen geweckt und sich überschätzt und übernommen hat. Das ist schade, denn Europa und Deutschland brauchen mehr denn je eine Alternative zur Merkel’schen Politik des „Weiter so“. Wir brauchen Visionen wie die Vereinigten Staaten von Europa. Schulz hat sie viel zu spät ins Spiel gebracht - als er schon zur Großen Koalition verdammt war. Im Koalitionsvertrag blieb davon nur der „Aufbruch für Europa“. Und selbst dieser Aufbruch scheint nun schon wieder zu verpuffen. Auch das ist MEGA enttäuschend.
(Vorwort zur 2. Auflage)
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